De dood als machtsmiddel Het vervolg 6
2003 bis 2005: Eine Altenpflegerin tötet in Wachtberg bei Bonn neun Frauen. In den meisten Fällen erstickt sie die teils weit über 80- Jährigen mit Kissen. Die Täterin wird 2006 zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
JUSTIZ
Kollekte für den TodesengelEin Dorf in Franken kämpft für eine wegen Mordversuchs verurteilte Krankenschwester Von Manfred Frey Archiv
Aus FOCUS Nr. 21 (1997) nr 21 Deutschland
Hermann Bauer, Bürgermeister der 1400-Seelen-Gemeinde Markt Berolzheim in Mittelfranken, gerät ins Schwärmen: „Die Marianne ist etwas Besonderes. Die ganze Familie ist so positiv. Immer sehr hilfsbereit, voller Zuversicht, Wärme und Treue. Alle guten Eigenschaften vereinigen sich auf diese Familie. Nein“, sagt Bauer mit fester Stimme, „es ist undenkbar, daß diese Frau etwas getan hätte, was das Leben eines Menschen verkürzt.“ |
Der Tod stand schon im Raum5. November 1996, Weltonline Verbotene Sterbehilfe: Die Krankenschwester, die aus Mitleid tötete Von MICHAEL MIELKE
Am 25. Januar dieses Jahres hatte Marlene H. der im Sterben liegenden Heimbewohnerin Elsa F. gegen 10 Uhr Milchkaffee eingeflößt. Die Krankenschwester muß sich an diesem Tag um 26 Heimbewohner kümmern. Jeder zweite ist schwer pflegebedürftig, muß gewaschen und gewindelt werden. Unterstützt wird Marlene H. von der Umschülerin Rosemarie G. So bleibt keine Zeit, über die gegen 10.05 Uhr verstorbene Elsa F. nachzudenken, bei der schon zwei Tage zuvor Nahrung und Medikamente abgesetzt wurden. Um so größer ist die Verblüffung, als nach ein paar Tagen das Gerücht durchsickert, der Tod der Elsa F. sei kein natürlicher gewesen. Schwester Marlene habe die Heimbewohnerin, die nicht mehr schlucken konnte, mit Milchkaffee erstickt. Zehn Monate später kommt es in Berlin-Moabit zu einem Prozeß vor einem Schwurgericht. Die Anklage lautet Mord. Es ist ein anderer Fall als jener, der 1989 in Wuppertal verhandelte wurde. "Elf Jahre Gefängnis" hieß damals das Urteil für die als "Todesengel von Wuppertal" apostrophierte Krankenschwester Michaela Roeder. Die 35jährige hatte fünf Patienten aus "Mitleid getötet". Es ist auch kein Fall wie jener in Wien, der 1993 für vier Krankenschwestern mit Haftstrafen zwischen lebenslänglich und 15 Jahren endete. Bei ihnen standen am Ende 15 vollendete und 17 versuchte Morde auf der Liste. Auch sie hatten von "Mitleidstötungen" gesprochen. Im Prozeß gegen Marlene H. werden diese Worte nie fallen. Die zierliche Frau hat die Herzen der Zuschauer im Grunde schon erobert, als sie, die maßlos erstaunt scheinenden Augen weit aufgerissen, auf der Anklagebank kauert. Und größer noch wird das Mitleid, als Anwalt Manfred Studier ihren unter Epilepsie leidenden neunjährigen Sohn erwähnt, um den sich die alleinerziehende Mutter rührend kümmere. "Ja", sagt sie auf Frage des Richters Wolfgang Hüller, von Weinkrämpfen immer wieder unterbrochen, "ich habe ihr Kaffee gegeben, aber höchstens drei Teelöffel." Anschließend habe Elsa F. noch gelebt. "Ich würde doch so etwas nie machen! Ich liebe meinen Beruf!" Und jeder im Saal möchte ihr glauben. Erst am Nachmittag, als die einzige Zeugin der Anklage gehört wird, beginnt die im Zuschauerraum unsichtbar gewachsene Mauer aus Mitleid und Empörung gegenüber dem jungen Staatsanwalt Ralph Knispel zu bröckeln. Da schließen sich plötzlich die Kreise nach Wien und Wuppertal. Hat sich diese zierliche Frau vielleicht doch zur Herrin über Leben und Tod gemacht? Hatte sich während ihrer 20 Berufsjahre die Achtung vor den ihr anvertrauten Menschen unmerklich abgeschliffen? Die Kronzeugin ist jene Umschülerin, mit der Marlene H. am 25. Januar gemeinsam auf der Station 6 den Dienst versah. Es war erst die zweite gemeinsame Schicht; und es gab zwischen ihnen auch keinen Streit. Wenn überhaupt, dann Ressentiments auf seiten der Umschülerin gegenüber der herrschsüchtigen Krankenschwester. "Man hätte manches auch liebevoller machen können", sagt Rosemarie G. Die 41jährige ist eine ruhige Frau, die jedes Wort sehr genau abzuwägen scheint. Sie hatte viele Jahre als Verkäuferin gearbeitet, war nach der Wende arbeitslos geworden und hatte sich schließlich, ermuntert durch ein Frauenprojekt für Langzeitarbeitslose, für die Altenpflege entschieden. Vielleicht war es ja dieser ungetrübte Blick der Berufsanfängerin, der Schwester Marlene zum Verhängnis wurde. Nach Aussage der Umschülerin hatte sich Marlene H. an jenem Donnerstag schon beim Betreten des Zimmers darüber mokiert, daß jemand bei Elsa F. das Rückenteil des Betts hochgestellt hatte. "Das regt den Kreislauf an, dann stirbt sie ja noch langsamer", soll die Krankenschwester gesagt haben. Wenig später will Rosemarie die programmatischen Worte "Es ist besser, wenn sie heute stirbt, am Wochenende bin ich allein, dann kommt wieder die Kripo" vernommen haben. Am Wochenende wird bei Todesfällen nicht die Hausärztin, sondern ein Arzt des Notdienstes gerufen. Kann dieser nicht die Todesursache feststellen, erscheint anschließend die Kripo, und die stellt auch unbequeme Fragen. Ganz genau kann Rosemarie G. nicht mehr sagen, ob nur Sekunden oder Minuten vergingen, bis Marlene H. nach diesen Worten die auf dem Nachttisch stehende Schnabeltasse nahm und der röchelnden Frau Kaffee in den Mund zu gießen begann. "Es hat ganz merkwürdig gegluckert", sagt sie.Die Umschülerin hatte dieses Wissen tagelang mit sich herumgeschleppt und sich erst am darauffolgenden Montag ihrer Ausbilderin im Frauenprojekt anvertraut. So kamen die Ermittlungen ins Rollen. Ein Pathologe fand in der Lunge der Verstorbenen rund 100 Milliliter Kaffee, keinen jedoch im Magen - obwohl Erna F. nach Aussage der Angeklagten den Kaffee angeblich habe schlucken können. Am Ende können die Anträge kaum widersprüchlicher sein: Knispel fordert lebenslänglich, Studier einen Freispuch. Das Schwurgericht, das die Kronzeugin Rosemarie G. "für absolut glaubwürdig" befindet, entscheidet sich für den Mittelweg: "Bewußte Tötung", urteilt Richter Hüller, "aber kein Mord." Fünf Jahre Gefängnis wegen Totschlags, so lautet die Strafe. Marlene H. habe ihr Tun vermutlich als "Form der Sterbehilfe empfunden, bestärkt durch das Wissen um das Absetzen der Nahrung und der Medikamente". Sie sei aber keinesfalls ein Todesengel. Der Tod der Elsa F. habe ja nicht nur an die Tür geklopft, sagt Hüller. "Er stand schon im Raum." |